Alltag in Nordkorea
Nordkoreanischen BürgerInnen werden auf Grundlage der Juche-Ideologie unterrichtet, welche vorgibt, dass die absolute Vorherrschaft bei Kim Il- Sung liegt und besagt, dass ihre Lebensberechtigung und -inhalt nur unter der Führung der Kim Dynastie bestehen können. Diese ideologische Manipulation verzerrt die individuellen Identitäten der Nordkoreaner und raubt den BürgerInnen das eigene Selbstverständnis, so dass nur noch ein bloßes Echo von Rechten oder Freiheit übrigbleibt.
Obwohl Gesetze und Regelungen vorhanden sind, müssen nordkoreanische BürgerInnen den “10 Prinzipien der Arbeiterpartei für den Aufbau eines einheitlichen Ideologiesystems” bedingungslos folgen. NordkoreanerInnen werden dazu gezwungen sich diese Prinzipien zu merken und sie als den Maßstab anzusehen, nach dem sie ihr Leben zu richten haben. Da diese Richtlinien die Basis für alle Aspekte der Gesellschaft darstellen, ist es weder erlaubt Skepsis gegenüber der Regierung zu äußern oder Versuche zu unternehmen das System zu ändern. Dies wird als ein schweres Verbrechen angesehen, für welches eine gesamte Familie bestraft werden kann. Um ihre Familien in Nordkorea zu schützen, müssen die Zeugenberichte unserer Geflohenen anonym und ihre Nachnamen verdeckt bleiben.
“Niemand sucht es sich aus in Nordkorea geboren zu werden” – Ky-Min (1999 geflohen)
Nordkorea ist der verschlossenste Staat der Welt, aus diesem Grund ist es nahezu unmöglich sich ein klares Bild über den Alltag der 25 Million NordkoreanerInnen zu verschaffen. Besuche in das Land sind stark begrenzt und werden streng überwacht. Statistiken, die von der Regierung zur Verfügung gestellt werden, sind häufig zu ihren Gunsten verzerrt. Eine Möglichkeit, die besteht, um mehr über die Realität von NordkoreanerInnen zu lernen, ist es, diejenigen zu fragen, die es geschafft haben zu fliehen. Der Mangel an lebenswichtigen Waren, Freiheitsberaubung, Zwangsarbeit und Propaganda sind die Gründe, warum bisher insgesamt 30.208 Personen, davon 1.414 im Jahr 2016, ihr Leben riskiert haben, um diesen Bedingungen, trotz gefährlicher Überquerungen durch China und Ostasien, zu entfliehen.
Der Mangel an lebenswichtigen Gütern
“Wir hatten kaum Geld oder Rationen von unserem Arbeitgeber zur Verfügung und mussten konstant hungern.” – Ah-Young, Arbeiterin in einer Textilfabrik
Eine der größten Herausforderungen ist die anhaltende Hungersnot. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie NordkoreanerInnen Zugang zu Nahrungsmitteln erhalten können: über kleine legale- oder Schwarzmärkte. Laut des Welternährungsprogramms, verteilte die nordkoreanische Regierung 400g Nahrungsmittel pro Person im Januar 2017. Aufgrund mangelhafter Ernten, wurden Essensrationen im Januar 2019 auf 300g pro Person pro Tag reduziert. Dieser Betrag entspricht lediglich 50% der von der UN empfohlenen Tagesmenge.
Nordkorea ist regelmäßig von Überschwemmungen und Dürreperioden betroffen. So führte die letzte Überschwemmung 2018 zu 76 Toten und tausenden Vertriebenen. Die Regierung ist völlig unausgerüstet, um mit solchen Umweltkatastrophen umgehen zu können, was durch die stetige Abnahme der Lebensmittelvorräte aufgezeigt wird. Während des “Beschwerlichen Marsches”, ein Propaganda Begriff, welcher während der extremen Hungersnot von 1994 bis 1998 verwendet wurde, starben ca. 1 Million Menschen an Hunger. Kinder sind in der Regel die ersten Opfer der Mangelernährung. Tatsächlich ist die Kindersterblichkeitsrate in Nordkorea zehnmal höher, als in Südkorea.
Während der Covid-Krise hat sich die Lebensmittelknappheit verschärft. Die Überschreitung der Grenze wurde so gut wie unmöglich gemacht und gleichzeitig wurde die lokale Bewegungsfreiheit der Einwohner, von der Regierung, stark eingeschränkt. Viele Quellen bestätigten, dass für die Nordkoreaner die durch COVID-19 verursachten Lebensmittelknappheiten eine größere Gefahr darstellen als das Virus selbst
“Weil es nichts zu essen gibt in Nordkorea, essen wir alles, was wir finden können. Wir essen Wurzeln und alles, was man kauen kann […]. Da war eine Mutter, die ihre drei Kinder dem Kindergarten anvertraute. Aber alle drei sind verhungert.” – Jung Suk, Kindergärtnerin in Ausbildung (2013 geflohen).
“Weil keine Medizin und Instrumente zur Verfügung standen, gab es nichts, was ich als Arzt noch machen konnte. Sogar die Einheimischen gaben es irgendwann auf, nach einem Arzt zu suchen.” – Chui-Min, Allgemeinmediziner (2005 geflohen)
Da Medizin und Krankenhausaufenthalte im Normalfall zu teuer sind, gehen kranke NordkoreanerInnen zum Jangmadang, dem Schwarzmarkt, um Medizin zu kaufen und behandeln sich selbst zu hause. In Krankenhäusern sind Instrumente veraltet und unsicher aufgrund schlechter Instandhaltung und instabiler Stromversorgung.
Die Instabilität der Stromversorgung erschwert das Heizen im Winter, auch in den Elite-Wohnungen in Pyongyang. Außerhalb der Hauptstadt wird hauptsächlich Kohle zum Heizen benutzt, was die Wahrscheinlichkeit von Atemwegserkrankungen erhöht. Im Winter fallen die Temperaturen bis auf -13°C am Tag.
“Viele Kinder schlafen auf den Gleisen, da sie sich mit jedem vorbeifahrenden Zug erwärmen. Manchmal passierte es, dass Kinder ihre Beine auf den Gleisen ließen, von den Zügen erfasst wurden und ihre Beine verloren” – Ok-Ju, OP-Schwester (1997 geflohen).
Freiheitsberaubung
Obwohl Nordkorea es nicht zugibt, befinden sich zahlreiche Konzentrationslager im Land. Ungefähr sechs davon sind für politische Häftlinge vorgesehen. Die Abteilung für Politische Sicherheit leitet Nr. 14 in Gae-Chun, Nr. 15 in Yo-Deok, Nr. 16 in Wha-Sung, Nr. 22 in Hoi-Ryung und Nr. 225 in Su-Sung (Chung-Jin). Nr. 18 in Buk-Chang wird vom Volkssicherheitsrat geleitet. Es ist nicht unüblich, dass Gefangene ohne Gerichtsverfahren verurteilt werden und in den Camps geschlagen, ausgehungert und zur Arbeit gezwungen werden.
Nordkoreanische Männer sind für ein Minimum von 10 Jahren zum Wehrdienst verpflichtet. Während dieser Zeit bekommen sie kaum Urlaubstage. NordkoreanerInnen wird beigebracht die Außenwelt zu hassen. Vor allem die USA und Südkorea sind ihre “Hauptfeinde”.
“In Nordkorea sollte man nicht so handeln, wie man denkt, sondern so, wie man sich verhalten sollte. Wenn man zum Beispiel über Amerika spricht, sollte man immer wütend sein.”
Kyn-Min, Regisseur (1999 geflohen)
Das trägt dazu bei ein Gefühl von Patriotismus herzustellen und die ewige Zuneigung der nordkoreanischen BürgerInnen zur Kim-Familie, die sie als Beschützer ansehen, zu garantieren.
Im Trainingslager Nummer 18 werden die Angehörigen von Tätern nach dem System ” Schuld durch Verbindung” inhaftiert. In Nordkorea kann man für ein Verbrechen bestraft werden, das man nicht begangen hat; “Schuldig durch Verbindung” bedeutet, dass Verwandte des Täters bis zu drei Generationen ebenfalls inhaftiert werden. Kinder werden in Lagern geboren und wachsen dort auf, weil ihre Eltern für ein Verbrechen, das ihre Großeltern begangen haben, inhaftiert sind, und oft wissen sie nicht, warum. Es ist eine mächtiges Druckmittel für diejenigen, die aus Südkorea fliehen wollen, da sie wissen, dass ihre Familien den Preis dafür zahlen werden.
“Ein/e DiplomatIn kann nicht die ganze Familie mitnehmen, wenn er ins Ausland geht. Einige Mitglieder müssen in Korea zurückgelassen werden, quasi als Geiseln.” – Yeong-Geon, Diplomat (2012 geflohen)
“SchwerverbrecherInnen werden in das Lager Nummer 25 geschickt, ein Ort, den man nicht lebend verlassen kann.” – Min-Chul (ehemaliger Inhaftierter des Lagers Nummer 15)
Genaue Angaben zu den Insassen des Lagers ist umstritten. Einige Gelehrte sagen, es sei ein Lager ausschließlich für politische StraftäterInnen, andere für SchwerverbrecherInnen, religiöse FührerInnen und MitgliederInnen von Fraktionen. Min Chul, einer der Geflohenen, der sich bereit erklärt hat, mit uns über seine Erfahrungen in den Lagern zu sprechen, erinnert sich an den Fall eines Eisenbahnangestellten, der in seiner Stadt Bibeln aus China verteilte.
“Ich erinnere mich an die Nacht, in der er sein endgültiges Urteil bekam. Er hatte ein sehr zufriedenes Lächeln, als er sagte: `Ich wurde zu 15 Jahren im Konzentrationslager Su Sung verurteilt [Lager Nummer 25]`[…] Selbst als er aus dem Gefängnis geschleppt wurde, sang er noch Kirchenlieder. Ich werde diese Szene niemals vergessen.”
Propaganda
Zwangsarbeit
NordkoreanerInnen wird von klein auf beigebracht, die Familie Kim zu vergöttern und für ihr Land zu kämpfen. Das Bildungssystem ist auf diesen Zweck ausgerichtet.
Propaganda ist überall und in jedem Lebensbereich vorhanden: in Filmen, Fernsehen, Theater, Comics, Straßenpostern … NordkoreanerInnen müssen mehrmals im Monat Denkmäler zu Ehren von Kim Il Sung und Kim Jong Il besuchen und haben gerahmte Bilder ihrer "geliebten Führer" in ihren Häusern, die sie jeden Tag reinigen müssen.
Seit der Herrschaft von Kim-Jong-Un wird die Kontrolle der Gedanken-, Meinungs- und Religionsfreiheit immer mehr eingeschränkt. Lebensrückblicke und Lerneinheiten nehmen zu, und die Verehrung von Kim Jong-Un wird nach Berichten immer ideologischer.
Da die meisten von ihnen nach dem Schulabschluss nicht die Voraussetzungen und das Geld haben, um eine Universität zu besuchen, werden die NordkoreanerInnen zur Arbeit in Kollektivbetrieben, Fabriken, auf Baustellen usw. geschickt. Sie können sich ihren Beruf nicht aussuchen und sind intensiven Arbeitszeiten ausgesetzt, bis zu 12 oder 16 Stunden pro Tag.
“Ich musste den ganzen Tag stehen. In sechs Jahren waren meine Gelenke in beiden Beinen beschädigt, so dass ich im Krankenhaus bleiben musste. Ich war froh, denn das bedeutete, dass ich mich endlich ausruhen konnte.” – Ah Young, ArbeiterIn in einer Textilfabrik (2009 geflohen)
Als Gegenleistung für ihre Arbeit, erhalten sie nur wenig Lohn und Nahrungsmittel. In Kollektivfarmen wird jedem/rr ArbeiterIn eine Tagesquote zugeteilt, und wenn diese Quote nicht erfüllt wird, bekommen sie nichts zu essen. Die Arbeit auf Baustellen und in Minen kann gefährlich sein, aber wenn sie zu Schaden kommen, erhalten die NordkoreanerInnen keinerlei Entschädigung.
Flucht
Die Flucht stellt ein großes Risiko dar. Aber wegen der ständigen Verletzung ihrer Rechte, des Hungers, der Erschöpfung und der Angst um ihr Leben und um die, die sie lieben, wagen jedes Jahr mehr als tausend NordkoreanerInnen die Reise in die Freiheit. Die meisten Fliehenden aus Nordkorea warten bis zum Winter, um den Amnok (Yalu) Fluss, der an der Grenze zu China liegt, zu überqueren, da der Strom schwächer ist, trotz eiskalter Wassertemperaturen. An der Grenze müssen sie den Grenzposten ausweichen und sich vor chinesischen SoldatInnen verstecken, die auf der Suche nach Fliehenden patrouillieren.
Aber selbst wenn es ihnen gelingt, die Grenze zu überqueren, sind nordkoreanische Geflüchtete oft nicht sicher. China definiert das Überqueren der nordkoreanisch-chinesischen Grenze als illegale Aktivität und schickt Überläufer zurück, wenn sie entdeckt werden. Oft müssen sie sich verstecken, was gefährlich ist, insbesondere für Frauen, welche oft sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Außerdem sind sei der Gefahr Menschenhandels ausgesetzt, da sie oft an chinesische Männer verkauft und Zwangsverheiratet werden.
Schließlich müssen sie durch China und Laos reisen, um Thailand zu erreichen, wo sie in der südkoreanischen Botschaft um Asyl bitten können. Nach langen Kontrollen und Verhören erhalten die Überläufer die südkoreanische Staatsangehörigkeit und können endlich ihr neues Leben beginnen.
Alle Zeugenaussagen stammen aus “Die Gesichtslosen: Eine Geschichte der unvermeidlichen Flucht aus Nordkorea”, ein Bericht von PSCORE (2015).
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Wenn du dich noch mehr über die aktuelle Lage von Menschenrechten in Nordkorea informieren möchtest, kannst du hier unseren Reflektion des COI Report 10 Jahre später lesen.