Kindesmissbrauch
Kinder in Nordkorea leiden unter systematischer Vernachlässigung und Ausbeutung auf allen Ebenen der Gesellschaft. Da das Konzept des Kindesmissbrauchs in Nordkorea nicht existiert, herrscht eine Kultur der Gewalt vor , was langanhaltende Auswirkung auf die Entwicklung der Kinder hat.
“Wenn der Stock kaputt ging, musste der Schüler, der geschlagen wurde, einen neuen machen.” – Kim Hye-Sook
Körperliche Misshandlung
Die Hälfte der Befragten aus den Interviews von PSCORE, hat Kindesmissbrauch am eigenen Leib erfahren und 85% wurden zudem körperlich misshandelt.
Körperliche Misshandlung eines Kindes kann als die absichtliche Benutzung von physischer Gewalt gegen ein Kind definiert werden, und umfasst Methoden wie Schlagen und Prügel.
Orte des Missbrauchs
Zu Hause
Im privaten Umfeld ist körperliche Gewalt in Nordkorea keine Seltenheit. Mehrere Überläufer berichteten, dass es eine allgemein akzeptierte Praxis sei, dass Eltern ihren Kindern gegenüber körperlich gewalttätig sind.
Die Zeugenberichte deuten darauf hin, dass das Ausmaß der Gewalt, die den Kindern zugefügt wird, von Eltern zu Eltern unterschiedlich ist. Umfragen zeigen, dass 52% der Teilnehmer mit niedrigem gesellschaftlichem Status körperliche Misshandlungen erlebt haben, während nur 25% der Teilnehmer mit hohem Status derartige Übergriffe widerfahren sind.
Es scheint auch, dass es eine auf das Geschlecht bezogene Unterscheidung bei der Anwendung von Gewalt gibt. 47 % der männlichen Befragten geben an, körperliche Gewalt erlebt zu haben, im Vergleich zu lediglich 40 % der weiblichen Befragten.
Schule
Körperliche Gewalt wird in der Schule genauso akzeptiert wie in den eigenen vier Wänden. Körperliche Züchtigung scheint zum Alltag der SchülerInnen zu gehören.
Öffentliche Einrichtungen
Die Kommission hat festgestellt, dass die Mehrheit der TäterInnen nicht zur Rechenschaft gezogen wird. Im August 2011 verhafteten Beamte des Ministeriums für Staatssicherheit seinen Sohn, weil er sich südkoreanische Filme angesehen hatte. Er wurde in Untersuchungshaft gefoltert. “Sein linker Knöchel war zertrümmert und sein Gesicht geprellt und grob entstellt.” Die Eltern mussten erhebliche Bestechungsgelder zahlen, damit die BeamteInnen ihn freilassen würden. Leider erlag der Junge einige Tage später an einer Hirnblutung, die durch die schwere Folter hervorgerufen wurde.
“Unsere Hände wurden mit Handschellen hinter unsere Rücken gefesselt und dann wurden wir aufgehängt, so dass wir nicht in der Lage waren zu stehen oder zu sitzen.”
– Jeong Kwang-Il
Politische Gefangenenlager
Der Staat macht sich des zwangsweisen Verschwindenlassens in diese Lager, die es offiziell nicht gibt, schuldig.
Säuberungen von politischen, ideologischen oder wirtschaftlichen KlassenfeindInnen erstrecken sich auf die Nachkommen bis zur dritten Generation des ursprünglichen Übeltäters.
Eine Zeugin erzählt, dass sie erst 13 Jahre alt war, als sie auf dem Heimweg von der Schule festgenommen wurde, sowie ihre gesamte Familie, ohne Angabe eines Grundes. Schlimmer noch, ihnen wurde gesagt, wenn sie sich nach dem Grund erkundigen oder mit anderen Häftlingen darüber sprechen sollten, würden sie hingerichtet werden.
Die Zeugin verbrachte 28 Jahre in dem politischen Gefangenenlager ohne den Grund zu wissen, bis sie entlassen wurde. Dann fand sie heraus, dass ihr Großvater während des Koreakriegs nach Südkorea geflohen war und daraufhin ihre Familie in Haft genommen wurde.
Kinderheime
Humanitäre Organisationen haben keinen Zugang zu diesen Einrichtungen (der UN-Ausschuss für Informationen sammelte Aussagen von Geflohenen).
Ein Mädchen wurde gefasst und gegen ihren Willen in eine Einrichtung für Straßenkinder eingewiesen. Als sie ankam, wurde sie mit einem Ledergürtel geschlagen und musste auf einem Stuhl stehen.
Neben dem Mangel an Nahrung mussten die Kinder den ganzen Tag sitzen und durften nur einmal in der Woche nach draußen, um die Toiletten zu leeren.
Kinder werden als Arbeitskräfte ausgebeutet, indem sie während der Schulzeit auf den Feldern arbeiten. Nordkoreanische Geflohene berichten, dass Kinder an der Ernte von Getreide, dem Beladen von Lastwagen und weiterer körperlich anstrengender Arbeit beteiligt waren. Sie wurden ständig geschlagen, wenn sie die Arbeitsaufträge nicht erfüllt haben.
Sexueller Missbrauch
Kinder und vor allem junge Mädchen sind einem hohen Risiko ausgesetzt, von einer Vielzahl von Tätern sexuell missbraucht zu werden. 25,6% nordkoreanische Flüchtlinge haben sexuellen Missbrauch erlebt. 43,9 % haben zwei oder mehr Arten von Missbrauch erlitten (sexuell, körperlich, wirtschaftlich und/oder psychisch).
Sexueller Missbrauch kann als die Unterwerfung eines Kindes unter sexuelle Handlungen betrachtet werden, die es nicht vollständig verstehen, denen es nicht zustimmen kann oder auf die es entwicklungsmäßig nicht vorbereitet ist. Sexueller Missbrauch kann entweder durch einen Erwachsenen oder durch andere Kinder erfolgen.
Arten des Missbrauchs
Sexuell unangemessene Berührungen
Dies ist die häufigste Form sexuellen Missbrauchs.
Vergewaltigungen
Vergewaltigungen sind in Nordkorea weit verbreitet. Häufig sind die Kinder so jung, dass sie noch nicht einmal verstehen, was ihnen widerfährt. Es ist unwahrscheinlich, dass Opfer von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigungen ihre Täter melden. Diese werden in der Regel nicht bestraft.
Im Alter von 10 Jahren blieb Su-jin in der Obhut eines Mannes. Er berührte Su-jins Körper, während sie schlief. Das geschah viele Male während ihres Aufenthalts im Haus, der etwa einen Monat dauerte. Zuerst berührte er nur Su-jins Körper. Aber mit der Zeit nahm der Mann auch Su-jins kleine Hand und rieb und drückte sie gegen seinen eigenen Körper. Su-jin erinnert sich noch lebhaft an dieses Gefühl. Damals schämte sie sich und war verwirrt. Das Gefühl war unangenehm und sie bekam eine Gänsehaut, aber sie wusste nicht genau, warum sie diese Dinge fühlte und warum er tat, was er tat.
“Ich habe mit meiner Puppe gespielt, aber er sagte, wir würden ein anderes Spiel spielen. Ich kann mich nur noch an den Schmerz erinnern und dass ich es nicht mochte. Er sagte:” Mach dir keine Sorgen, lass uns einfach mitzählen, nur noch zehn Mal, Zehn, Neun, Acht …” […] Immer wieder weinte ich vor meinen Eltern und erzählte ihnen, dass ich ihn nicht mochte, aber sie haben nicht verstanden, was passiert ist. Nachdem sie mich zum dritten Mal mit ihm alleine gelassen hatten, beschlossen sie schließlich mich von ihm fern zu halten.”
– Nordkoreanische Schülerin (2014 geflohen)
Orte des Missbrauchs
Kinder sind am ehesten zu Hause oder in den Heimen von Verwandten oder Bekannten von sexueller Gewalt betroffen.
Aber auch die Schule in Nordkorea ist ein feindseliger und gefährlicher Ort, an dem Kinder oft einer Vielzahl von Misshandlungen ausgesetzt sind, einschließlich sexuellem Missbrauch. Vor allem LehrerInnen sind die HaupttäterInnen in solchen Fällen.
Eine Geflohene, Ji-Young, erzählte PSCORE, dass sie eines Nachts, als sie sieben Jahre alt war, zwischen den vielen Menschen in ihrem Haus schlief, als sie durch ein ungewohntes Gefühl erwachte. Ihre Hand steckte in der Hose eines der Gäste, eines Mannes, der der Cousin ihrer Mutter war. Ji-Young wusste nicht, was geschah, da dies für eine 7-Jährige eine völlig ungewohnte Situation war. Doch das unangenehme Gefühl ist ihr bis heute in Erinnerung geblieben. Damals konnte sie nur so tun, als ob sie schlafen würde, und versuchen, ihrem Peiniger für den Rest seines Aufenthalts aus dem Weg zu gehen.
Ein Jahr später, als Ji-Young 8 Jahre alt war, verbrachte sie einige Zeit in der Obhut ihrer Verwandten. In diesem Haus teilten sich normalerweise fünf oder mehr Personen ein kleines Zimmer zum Schlafen. Ji-Young mochte den Aufenthalt in diesem Haus nicht und weinte oft. Eines Nachts schluchzte sie leise, als sie spürte, wie jemand auf sie kletterte. Sie spürte, wie eine Hand ihre nackte Haut unter der Kleidung betastete, aber sie wagte nicht, die Augen zu öffnen. Alle schliefen gemeinsam in dem Zimmer, und die Frau des Täters schlief direkt neben ihnen. Ji-Young wollte sie nicht wecken, oder besser gesagt, sie hatte Angst, dass sie, selbst wenn sie aufwachen würden, so tun würden, als würden sie nichts sehen. Ji-Young glaubte nicht, dass einer von ihnen ihr helfen würde. Langsam drehte sie sich um, als würde sie sich im Schlaf umdrehen, und zum Glück ließ er leise von ihr ab. Ji-Young war sehr verängstigt und fühlte sich am Boden zerstört, aber es kam ihr in den Sinn, dass sie aus irgendeinem Grund nicht zulassen sollte, dass die anderen herausfanden, dass sie wach war, also tat sie ihr Bestes, um ihr Schluchzen zu unterdrücken.
Als sie 17 Jahre alt, größer und reifer war, kam der sexuelle Missbrauch häufiger vor. An manchen Tagen war es der Freund ihres Onkels, an anderen Tagen der Freund ihres Vaters oder der Freund ihrer Tante und so weiter. Sie berührten Ji-Young oder steckten ihre Hand in ihre Hose. Sie war immer wach, wenn das geschah, aber sie hat es nie gemeldet. Die Täter hielten sich tagelang bei ihr zu Hause auf, und sie hatte keine andere Wahl, als sich ihnen tagsüber zu stellen.
Eines Nachts wurde sie von einem Onkel, der unter dem Einfluss einer Droge namens "Pingdu" stand, angegriffen. Zum ersten Mal in Ji-Youngs Leben wehrte sie sich mit aller Kraft und stieß ihn von sich. Die Wut und der Kummer, die sie in sich aufgestaut hatte, explodierten mit einem Mal, und sie schrie ihn an und forderte ihn auf, sich zu erklären. Der Onkel war immer noch unter dem Einfluss der Droge, aber er sah ihr tränenüberströmtes Gesicht und entschuldigte sich. Doch Ji-Young hielt es nicht länger aus. Sie erzählte ihrer Stiefmutter von dem Übergriff ihres Onkels und diese versicherte ihr, dass er von Ji-Youngs Vater bestraft werden würde. Später an diesem Tag kamen ihr Vater und ihr Onkel jedoch gemeinsam lachend nach Hause. Anstatt bestraft zu werden, tauschte ihr Onkel Witze mit Ji-Youngs Vater aus. Ji-Young war am Boden zerstört. Ob es nun ihre Stiefmutter war, die ihrem Vater nichts gesagt hatte, oder ihr Vater, der das Geschehene einfach ignorierte, Ji-Young hatte das Gefühl, nicht beschützt zu werden.
Nach diesem Tag wurde ihr Onkel gewalttätig. Er ohrfeigte Ji-Young, weil sie sein Essen nicht pünktlich servierte, und begann, sie ständig zu schlagen. Als ihr Onkel eines Tages erneut versuchte, sie zu schlagen, verließ Ji-Young das Haus mit nichts außer den Kleidern, die sie am Leibe trug. Das war der Tag, an dem Ji-Young Nordkorea verließ.
Mehr als 10 Jahre sind vergangen, aber Ji-Young erinnert sich noch immer an jeden einzelnen Vorfall von sexuellem Missbrauch, bis hin zu dem Zeitpunkt, als sie gerade 7 Jahre alt war. Die Leute sagen ihr, wie viel Glück sie hatte, nicht vergewaltigt worden zu sein, aber man kommt nicht umhin, sich zu fragen, ob sie wirklich Glück hatte.
Als So-hee 16 Jahre alt war, wohnte sie mit ihrer Familie im Haus ihrer Verwandten, in dem auch zwei männliche Cousins wohnten. Hier ereignete sich der Vorfall, als alle nebeneinander im selben Zimmer schliefen. Der älteste Cousin von So-hee, der neben ihr lag, legte seine Arme um ihre Taille. Obwohl sie dadurch geweckt wurde, dachte So-hee, dass er dies im Schlaf getan hatte. Dann spürte sie, wie seine Hand in ihre Hose eindrang. Sie sprang auf und wollte sich zwischen ihre Eltern legen, wurde aber so sehr zurückgestoßen, dass sie nicht einschlafen konnte. Am nächsten Tag begrüßte ihr Cousin sie, als wäre in der Nacht nichts geschehen.
In einer anderen Nacht wachte So-hee auf und fand ihren anderen männlichen Cousin, der sie von hinten umarmte. Sie konnte seinen steifen Penis an ihrem Rücken spüren. Als So-hee sich langsam umdrehte, schenkte er ihr ein Grinsen, das ihr die Haare zu Berge stehen lies.
Der eigentliche Grund für So-hees Flucht nach China im Jahr 2014 war, dass ihr damaliger Freund versucht hatte, ohne ihre Zustimmung Geschlechtsverkehr zu haben. Tatsächlich wusste So-hee damals nicht, wie Fortpflanzung funktioniert, und hatte Angst, dass sie allein durch intimen Kontakt schwanger werden könnte. Die Kombination von Schamgefühlen in Bezug auf voreheliche Beziehungen, sexuelle Kontakte und die Angst, schwanger zu sein, veranlasste So-hee, nach China zu fliehen.
Als Teenager wurde So-hee häufig Zeuge, wie ihr Sportlehrer und ihr Schuldirektor Schüler sexuell belästigten. Das geschah täglich, und da es keine Sexualerziehung oder ein entsprechendes Bewusstsein seitens der Schüler gab, verstanden sie die Bedeutung nicht und schämten sich einfach.
Wenn So-hee sich an ihre Zeit in der Sekundarschule erinnert, fällt ihr als erstes ihr Sportlehrer ein. Der Lehrer berührte die Schülerinnen während des Sportunterrichts ganz schamlos. Die Szene, in der er die Brüste und den Hintern der an den Reckstangen hängenden Schülerinnen streichelte, ist ihr noch lebhaft in Erinnerung. Weder So-hee noch die anderen Schülerinnen konnten den tastenden Händen des Lehrers im Sportunterricht entkommen.
Der Schuldirektor spuckte ständig Kommentare aus wie "Warum ist dein Hintern so groß?" oder "Ich sehe, deine Brüste sind größer geworden". Die Schülerinnen und Schüler nahmen das einfach als Hänseleien hin, und weil es so oft vorkam, dachten sie sich nichts dabei, außer dass es ihnen peinlich war. Erst als So-hee nach Südkorea kam, wurde ihr klar, wie unangemessen solche Bemerkungen waren.
Darüber hinaus enthüllen zahlreiche Quellen, dass sexuelle Belästigung auf öffentlichen Straßen in Nordkorea weit verbreitet ist. Eine hohe Anzahl von sexuellem Missbrauch wird von Soldaten begangen. Wenn ein Soldat der Vergewaltigung für schuldig befunden wird, kann er vor Beendigung des Militärdienstes ohne Aussicht, jemals in der Partei zu arbeiten, nach Hause geschickt werden. Doch die meisten Fälle von sexueller Gewalt werden den Behörden nicht gemeldet, und die Soldaten entgehen in der Regel einer Bestrafung.
Um zu überleben, sind viele KoreanerInnen gezwungen, in den Handel einzusteigen, eine Tätigkeit, die als illegal gilt, wenn sie ohne Erlaubnis erfolgt. Sie sind der Gnade der Autoritäten ausgeliefert und werden oft sexuell schikaniert und können sich nicht wehren, weil sie Gefahr laufen, dass ihre Sachen beschlagnahmt und sie verhaftet und/oder inhaftiert werden.
Eun-young musste mit 14 Jahren mit dem Handel beginnen, um sich und ihre Familie zu ernähren. Während sie in überfüllten Bussen Waren zum Markt transportierte, begrapschten Männer ihre Brüste und ihr Gesäß. Dies geschah täglich. Obwohl ihr Körper noch nicht ausgereift war, schien es den Männern egal zu sein, solange sie eine Frau war. Eun-young verdrehte ihren Körper oder versuchte, ihre Hände wegzuschieben, aber half oft nicht. Während die Männer sie befummelten, starrten sie den Frauen in die Augen. Die Frauen mussten dann den Blicken der Männer ausweichen und schamhaft den Kopf abwenden.
Nicht nur in Bussen kam es zu sexuellen Übergriffen. Zwischen Eun-youngs Start- und Zielort gab es zahlreiche Kontrollpunkte. Jedes Mal, wenn ein Sicherheitsbeamter, ein Wachmann oder ein Polizeibeamter eine Kontrolle einleitete, wurde der Körper einer jeden Person gefilzt, um nach verbotenen Gegenständen zu suchen. Die Behörden konnten so unverhohlen fummeln, wie sie wollten, und niemand konnte sich beschweren. Es war eine Frage des Überlebens. Es war wichtiger, die Kontrolle ohne Zwischenfälle zu überstehen, als über die sexuelle Belästigung nachzudenken. Keine einzige Frau beschwerte sich darüber, angefasst worden zu sein.
Manchmal transportierte Eun-young ihre Waren mit dem Zug statt mit dem Bus, aber wegen des Strommangels gab es oft mehrere längere Stopps. Wenn der Strom in den Zügen ausfiel, konnten die Männer in der Dunkelheit unverhohlen herumtasten. Es war, als hätten sie nur darauf gewartet, dass die Züge keinen Strom mehr hatten und die Lichter ausgingen, um mit ihren Übergriffen zu beginnen.
Es hatte keinen Sinn, zu schreien, wenn man betatscht wurde. Eun-young und den anderen Mädchen/Frauen blieb nichts anderes übrig, als zu versuchen, sich in einer Ecke zu verstecken.
Wenn sich abzeichnete, dass der Zug eine Weile nicht weiterfahren würde, begab man sich in ein nahe gelegenes Gasthaus und teilte sich unabhängig von Geschlecht und Alter ein Zimmer. In diesen Zimmern, in denen Fremde nebeneinander schliefen, passierte alles Mögliche. Da sie meist während eines Stromausfalles dort waren, waren die Gasthäuser dunkel, und es war schwierig, die Person neben sich überhaupt zu sehen.
Ein Mann kletterte einmal auf die Frau, die neben Eun-young lag. Der Mann stopfte der Frau den Mund und sagte ihr, dass er sie töten würde, wenn sie einen Laut von sich gäbe. Eun-young konnte ihn hören, da sie direkt neben ihnen lag. Sie war so nah, dass sie das Rascheln der Kleidung und die Bewegungen des Mannes hören konnte. Die Frau gab während der ganzen Tortur keinen Laut von sich, und als es vorbei war, ging der Mann zurück an seinen Platz, als ob nichts geschehen wäre. Der einzige Grund, warum der Mann nicht auf Eun-young geklettert war, war, dass sie neben ihrer Tante schlief. Solch ein sexueller Übergriff war etwas, was Frauen, die allein und ohne Begleitung reisten, häufig passierte. Ihre Tante flüsterte leise: "Wenn es dir nicht passiert ist, dann schenke dem keine Beachtung. Es passiert ständig, wenn du im Handel arbeitest. Du ziehst nur Ärger auf dich, wenn du dich einmischst." Die meisten Anwesenden schienen genau so zu denken, und deshalb hielt ihn niemand auf oder griff ein.
Laut Eun-young war das, was sie erlebte, sehr häufig. Die Geschichten, die sie von Nachbarn und Familienmitgliedern hörte, waren keine außergewöhnlichen Vorkommnisse, die nur bestimmten Menschen widerfuhren. Immer wenn sie sich an die begrabschenden Männer in den Bussen und Zügen erinnerte, kam es Eun-young so vor, als gäbe es auf der ganzen Welt keinen einzigen Mann, dem man trauen könnte. Wie konnte sie Männern trauen, die Frauen nur als Körper betrachteten und die sie betatschten, als sie noch ein Kind war? Je mehr sie als Erwachsene darüber nachdachte, desto mehr Wut empfand sie: auf sich selbst, weil sie nicht geschrien hatte, und auf die Männer, die sie betatscht hatten, als sie noch nicht einmal volljährig war. Diese Gefühle quälten Eun-young lange Zeit in Form von Albträumen.
“Ich bekomme jedes mal Gänsehaut, wenn ich einen Mann sehe, egal wie alt er ist. Ich kann sie nicht mehr anders betrachten… Ich hatte oft Alpträume, in denen ich von Männern verfolgt wurde.”
– Eun-Young
Warum melden Opfer ihre Missbrauchserfahrungen nicht?
Ausgrenzung und Beschuldigung von Opfern
Das Beschuldigen von Opfern und ihre Ausgrenzung ist so tief in der nordkoreanischen Gesellschaft verankert, dass sogar Familienmitglieder und nahe stehende Personen die Opfer entmutigen ihre Erlebnisse zu erzählen und zu melden.
“In unserer Nachbarschaft wurde eine Frau von drei Soldaten gruppenvergewaltigt. Ich habe gehört, was die anderen über sie gesagt haben. Niemand hat über die drei Soldaten gesprochen, sondern nur darüber, was sie mit ihr gemacht haben. Wie können Frauen in solch einem Umfeld über derartige Vorfälle berichten?” – Eun-Joo
Fehlendes Konzept des sexuellen Kindesmissbrauchs
Sexueller Missbrauch ist in Nordkorea so weit akzeptiert, dass er nicht einmal als kriminelle Handlung verstanden wird.
In der Schule gibt es keinerlei Aufklärungsunterricht über Sex, Verhütungsmittel oder Geschlechtskrankheiten.
Es gibt keine Bemühungen, den Schülern bewusst zu machen, dass sexueller Missbrauch ein Verbrechen ist, und die Menschen werden absichtlich in Unwissenheit gehalten.
Auch heute noch sehen nordkoreanische Männer Mädchen nicht als minderjährig an und haben keine Scham- oder Schuldgefühle, wenn sie sie sexualisieren. Das Konzept des “Schutzes der minderjährigen Bevölkerung” gibt es nicht.
Vernachlässigung
Das scheitern eines Elternteils oder eines verantwortlichen Erwachsenen für die Entwicklung und das Wohlbefinden eines Kindes zu sorgen. Kinder können in Bereichen wie Gesundheit, Bildung, emotionale Entwicklung, Nahrung oder Unterkunft vernachlässigt werden.
Körperliche Vernachlässigung
Körperliche Vernachlässigung ist eine Art der Vernachlässigung, bei der Eltern/BetreuerInnen es versäumen Kindern, angemessene Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Beaufsichtigung oder Schutz vor möglichem Schaden zu bieten.
Vorübergehend
Eltern sind häufig für einen längeren Zeitraum nicht zu hause.
40% der Bevölkerung kann sich keine Nahrungsmittel leisten. Aus diesem Grund leiden Kinder in Nordkorea an einem akuten Mangel von Essen und Nährstoffen.
Beständig
“Es gibt Fälle, in denen Eltern ihre Kinder der extremen Armut überlassen.”
Ein Geflohener gab an, dass Kinder jeden Alters im Stich gelassen werden, wenn die Eltern es sich nicht leisten können, sie aufzuziehen.
“Ich hatte keine andere Wahl. Mein Kind war zu dem Zeitpunkt drei oder vier Jahre alt und es gab niemanden, der auf ihn aufpassen konnte.”
– Han So-Young
Medizinische Vernachlässigung
Medizinische Vernachlässigung findet dann statt, wenn Eltern/ Betreuungspersonen es versäumen, eine angemessene Versorgung für das Kind zu gewährleisten. Dadurch wird das Kind der Gefahr weiterer Erkrankungen oder des Todes ausgesetzt.
Schulen in Nordkorea verlangen von ihren SchülerInnen regelmäßig, dass sie manuelle Aufgaben für ihre LehrerInnen übernehmen, z.B. in der Landwirtschaft. Diese Aufgaben sind oft anstrengend und gefährlich und werden mit sehr wenig Rücksicht auf die Sicherheit der SchülerInnen durchgeführt. Sie werden oft aus dem Unterricht geholt, damit sie diese Arbeiten verrichten können.
Kinder in Nordkorea ziehen sich Verletzungen zu, weil sie oft ein hartes körperliches Training absolvieren, entweder für Propaganda-Veranstaltungen oder für Sport. Der COI-Bericht hebt einen Vorfall hervor, bei dem ein Kind, das sich auf die Massenspiele vorbereiteten musste, extrem intensivem Training ausgesetzt war und infolgedessen oft in Ohnmacht fiel. Manchmal sterben Kinder auch aufgrund des harten Trainings und fehlender Medikamente.
Bildung
Arbeitszeiten
SchülerInnen verbringen viel Zeit außerhalb der Schule während Unterrichtszeiten, weil sie als ZwangsarbeiterInnen gebraucht werden.
Laut den Berichten von Geflohenen ist die Arbeit während der Schulzeit legal, solange die SchülerInnen mit dem Minimum an Reis und Gemüse versorgt werden. Dennoch sind sie oft überarbeitet.
Training
Der COI-Bericht erläutert, dass SchülerInnen den größten Teil ihrer Zeit Aktivitäten widmen, die nicht akademisch sind und besonders häufig vorkommen, wenn sie sich auf die Massenspiele und andere obligatorische Massenpropagandaveranstaltungen vorbereiten.
Für die Massenspiele verpassen SchülerInnen vier bis sechs Monate des Unterrichts, um zu trainieren. Das Training ist extrem anstrengend und dauert teilweise den gesamten Tag an.
Seelische Vernachlässigung
Die Einstellung gegenüber Mobbing ist, dass es die Schuld der Opfer ist und dass sie es daher verdient haben. Dieses Opfer- Beschuldigen erzeugt emotionale Vernachlässigung, die von der Familie und den LehrerInnen ausgeübt wird. Kinder entwickeln den Eindruck, dass sie nicht behütet werden und keine Unterstützung von Erwachsenen in Betreuungspositionen erhalten können. Opfer von sexuellem Missbrauch schweigen über ihre Tortur. Die Folge dieses Schweigens ist die Hervorbringung seelischer Vernachlässigung.
“Als der leistungsschwächste Schüler im Klassenzimmer auftauchte, jagten ihn seine KlassenkameradInnen hinaus und forderten ihn auf zu gehen. Eine starke Bindung zwischen dem Lehrer und den SchülerInnen setzt diesen Schüler durch vollständige Isolation und Mobbing weiter unter Druck.”
– Kim Hak-Chu
Psychischer Missbrauch
Psychologischer Missbrauch beschreibt Handlungen die der physischen, mentalen, moralischen oder sozialen Entwicklung eines Kindes schaden. Das kann unter anderem das Einschränken der Bewegungsfreiheit, sowie Diskriminierung oder Schuldzuweisungen beinhalten.
Selbstgerichtete Gewalt
Psychischer und emotionaler Stress wird meist durch Traumata aus anderen Arten von Missbrauch (körperlich, sexuell oder Verwahrlosung) geschürt, die sich mit der Zeit verstärken.
Angstzustände und Depressionen
Das Regime bietet den Opfern weder Hilfe an noch versucht es, den psychischen Zustand der Kinder zu erfassen. Die Isolation, die durch die alltäglichen Umgangsweisen geschürt wird, wird zu einem Trauma, das den Kindern den Schlaf raubt.
“Eltern waren teilnahmslos gegenüber ihren Kindern, wenn sie lange Stunden oder körperliche Züchtigung praktizieren mussten. Kinder konnten nicht einmal im Traum daran denken, zu sagen, dass sie das nicht wollen.”
– Kim Yeon-Ri
Suizidale Verhaltensweisen
Ganz am Ende des Spektrums kann selbstgerichtete psychische Gewalt zu suizidalem Verhalten und Selbstmord führen. Überwiegend treten solche Verhaltensweisen bei behinderten Kindern auf. Von der Gesellschaft und dem Regime abgelehnt, weil sie nicht in der Lage sind, nordkoreanische Standards zu erfüllen, sterben Kinder mit Behinderungen oft, bevor sie das Erwachsenenalter erreichen.
“Der einzige Weg für behinderte Menschen ist, dass sie bis ins hohe Alter und bis zum Tod bei ihren Müttern leben. Ich habe selten gesehen, dass behinderte Menschen bis ins hohe Alter leben. Sie sind alle vorher gestorben. Selbst meine Stiefschwester beging Selbstmord durch eine Überdosis an Medikamenten, nachdem sich mein Vater von meiner Stiefmutter getrennt hatte. Sie war etwa 19 Jahre alt.”
– Lee Hee-Eun
Zwischenmenschliche Gewalt
Naher Umkreis des Kindes
Aus psychologischer Sicht stellen Nahestehende die schlimmste Quelle des Missbrauchs dar, da sie die Verantwortlichen für die Entwicklung und Sicherheit des Kindes sind. Die Folgen sind zusätzlicher Stress und selbstgerichtete Gewalt.
Gemeinschaft
LehrerInnen greifen oft zu gewalttätigem Verhalten, um Kinder zu bestrafen und zu kontrollieren. Schläge und körperliche Gewalt werden mit psychologischer Bestrafung kombiniert. LehrerInnen ermutigen die SchüleInnen, gegeneinander anzutreten. Kinder, die innerhalb der Gruppe schlechte Leistungen erbringen, werden zu AußenseiterInnen oder Ausgestoßenen. So wird der Druck, den das Lehrpersonal auf die Kinder ausüben möchte, von den Kindern selbst gegeneinander ausgetragen.
Kollektive Gewalt
Kollektive Gewalt bezieht sich auf jegliche Gewalt, die von einer größeren Gruppe von Menschen ausgeht, einschließlich der MitschülerInnen, des Schulsystems oder der Gesellschaft als Ganzes.
Soziale Gewalt
Verbale Gruppenangriffe sind leider keine Seltenheit. Diese Art von Gruppenverhalten wird durch die Gruppenkritiksitzungen ausgelöst und hinterlässt einen bleibenden Schaden in der Psyche der Kinder.
Die Opfer solcher Übergriffe neigen dazu, sich vom Rest der Gesellschaft zu isolieren, was aufgrund des Überwachungssystems oft auf sie zurückfällt.
Politische Gewalt
Öffentliche Hinrichtungen haben sich als wirksames Instrument erwiesen, um das nordkoreanische Volk daran zu erinnern, was mit denen passiert, die versuchen, sich den Regeln des Diktators zu widersetzen.
Die Auswirkungen der Brutalität von Hinrichtungen auf die Psyche der Kinder sind nicht zu übersehen.
“10 Schützen erschossen vier zum Tode Verurteilte und Blut spritzte. Ich sah, wie die Verurteilten zu Boden fielen. Es war schwer, an diesem Tag etwas zu essen.”
– Kim Jin-Joo